Wer hat keinen Migrationshintergrund?

Über hundert Lernende und Lehrpersonen versammeln sich am Freitagmorgen, 7. November 2025, in der Aula der BMS Winterthur. Auf Einladung der Fachschaft Deutsch liest der renommierte Schriftsteller Martin R. Dean aus seinem neusten Werk «Tabak und Schokolade».

Dieses ist soeben als Taschenbuch erschienen. «Es kostet nur zweimal so viel wie ein Kaffee Crème in Zürich», ermuntert er augenzwinkernd zum Kauf. Aber was ist das überhaupt für ein Buch, das im vergangenen Jahr für den Schweizer Buchpreis nominiert war und das etliche der anwesenden Lernenden im Deutschunterricht gelesen haben? Im gut 200 Seiten starken Werk «Tabak und Schokolade» verbirgt sich eine neunjährige Recherche, verwoben zu einem Mix aus Kolonialgeschichte und Familiengeschichte. Sachtext? Fiktion? Autobiografie? Roman?


 

«Der Autor sitzt hier in der Aula des Anton-Graff-Hauses, dann gibt es den Erzähler im Buch, und irgendwo musste ich zwischen den beiden vermitteln», kommentiert Dean. Ausgehend von Erzählungen seiner Mutter  musste er beispielsweise seine Kleinkinderjahre in Port of Spain auf der Karibikinsel Trinidad  fingieren. Deshalb sei das Buch keinesfalls eine Autobiografie, sondern ein Roman.

 

Im Verlaufe des eineinhalbstündigen Anlasses lädt Dean sein Publikum immer wieder zur kritischen Reflexion ein. Was etwas verhalten als klassische Lesung beginnt, gerät zunehmend in Fahrt und wird zu einem packenden Mix aus Erzählung und Dialog. Deans Haltung schwankt unberechenbar zwischen Optimismus und Pessimismus. Tiefer und tiefer taucht er ab in seine Familiengeschichte und kommt nicht darum herum, uns eine aufwühlende Oral-History-Lektion zu erteilen. Anhand der Rohstoffe Tee, Opium, Zuckerrohr, Tabak und Schokolade erzählt er von seinen Vorfahren, deren Leben von den Machtansprüchen des kolonialen Englands dominiert war. Und schliesslich landet er wieder im ländlich geprägten aargauischen Menziken und bei der Zigarrenfabrik «Villiger», die im zweiten Teil des Werks den Kontrapunkt zur Karibik bilden.


«Durch diese Arbeit an meiner eigenen Geschichte bin ich stärker geworden.»

 

Raffiniert und oft unbemerkt wechselt Dean zwischen Lesung und freiem Erzählen, beides gleichsam packend und nicht immer leichte Kost für einen Freitagmorgen. Abschliessend nimmt er sich ausgiebig und geduldig Zeit für die vielen Fragen der Lernenden. Wir bedanken uns herzlich für diesen einprägsamen Besuch und dieses Fenster in Familiengeschichten, die unseren Blick auf die Weltgeschichte gleichzeitig zersplittern und schärfen!

 

ReLi

Winterthur, 8. November 2025

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